19. Dezember 2022
Seit Elon Musk Twitter gekauft hat, ist die Zukunft der Plattform ungewiss. Geschichtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des Projekts SocialMediaHistory betrachten die Entwicklungen mit Sorge, denn die Social-Media-Inhalte von heute sind ihre Quellen von morgen.
Ohne die Sozialen Medien lässt sich die Gegenwart nicht verstehen. Die mögliche Schließung von Twitter ist dabei ein Alarmsignal für die Geschichtswissenschaft, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsprojekts „SocialMediaHistory – Geschichte auf Instagram & TikTok“ der Universität Hamburg und der Ruhr-Universität Bochum. Denn die Zukunft der Disziplin liegt darin, die Inhalte digitaler Plattformen heute schon zu sammeln und zu erschließen.
Geschichtswissenschaft bangt um Quellen
Gerade einmal sechs Wochen ist es her, dass Elon Musk Twitter gekauft hat. Seitdem verändert sich die Plattform stetig und verliert dabei täglich Nutzerinnen und Nutzer sowie Mitarbeitende. Ebenfalls Ende Oktober verschenkten Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf ihre Instagram-Accounts – und löschten alle Inhalte. „Was dabei wenig bedacht wird: Mit der möglichen Schließung von Twitter und der Löschung von Inhalten öffentlicher Personen verliert die Geschichtswissenschaft wichtige Quelle über die Gegenwart“, erklärt Christian Bunnenberg, Professor für Didaktik der Geschichte und Public History an der Ruhr-Universität Bochum und einer der beiden Projektleiter von SocialMediaHistory.
Etwa gleichzeitig mit beiden Ereignissen verabschiedete die Europäischen Union ebenfalls Ende Oktober den Digital Services Act. Unter anderem soll er der Wissenschaft endlich den Zugang zu bestimmten Social-Media-Inhalten erleichtern. „Das ist zentral für die Geschichtswissenschaft, denn Soziale Medien werden eine der wichtigsten Quellen für die Erforschung der Gegenwart durch zukünftige Historikerinnen und Historiker sein“, so Andrea Lorenz, Mitarbeiterin des Projekts an der Universität Hamburg.
Doch bisher beschäftigen sich vor allem Disziplinen wie die Politik- oder Medienwissenschaften mit der Erforschung der Sozialen Medien. In der deutschen Geschichtswissenschaft hingegen wird die Frage, wie man Inhalte aus Plattformen wie Instagram oder TikTok speichern und auswerten kann, noch wenig behandelt. Mia Berg, Mitarbeiterin des Projekts an der Ruhr-Universität Bochum, betont: „Allein der Hashtag #history wurde auf Instagram 45 Millionen Mal geteilt und auf TikTok 60 Milliarden Mal aufgerufen. Die Ausbildung von Historikerinnen und Historikern muss sich ändern, um mit diesen großen Datenbeständen umgehen zu können.”
Neue Methoden erforderlich
Wie die Arbeit des Projektes SocialMediaHistory zeigt, ist bereits heute eine systematische Archivierung und Erforschung solcher Quellen notwendig, damit sie auch in Zukunft für die historische Forschung zur Verfügung stehen. Anderenfalls würden die umfangreichen Dokumentationen etwa des Ukraine-Krieges oder der Proteste im Iran für die Forschung verlorengehen, sollte Twitter abgeschaltet oder TikTok noch stärkerer Zensur unterworfen werden. Konkret brauchen historisch Forschende für deren Erschließung neue quantitative Herangehensweisen. Vor allem aber muss die Relevanz der Sozialen Medien noch stärker verankert werden. „Die Geschichtswissenschaft erlebt zwar bereits eine Umbruchphase hin zu digitalen Quellen. Die Sozialen Medien werden dabei aber noch nicht umfangreich abdeckt“, erklärt Thorsten Logge, Projektleiter und Junior-Professor für Public History an der Universität Hamburg.
Dies zu stärken, ist das Anliegen des Teams von SocialMediaHistory. Dieses organisierte Mitte November die Online-Tagung „#History on Social Media – Sources, Methods, Ethics“. Hier diskutierten erstmals Expertinnen und Experten aus vier Kontinenten über zeitgemäße Arbeitsweisen und Fragestellungen der historischen Forschung über und mit Sozialen Medien. Die Videos der Konferenzvorträge sind auf der Website des Projektes zu finden: https://smh.blogs.uni-hamburg.de/conference-history-on-social-media/
Pressekontakt: Projektkoordination SocialMediaHistory, Kristin Oswald, Universität Hamburg, Arbeitsbereich Public History: kristin.oswald@uni-hamburg.de