01. Dezember 2022
Spätestens mit der Corona-Pandemie haben wir sehen können, welch gefährliche Dynamiken durch Fake News (dt. Falschmeldungen) in den sozialen Netzwerken entstehen können; wenn plötzlich gewaltbereite Demonstrant*innen das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 vergleichen und sich dann dabei im Recht sehen, das Reichstagsgebäude zu stürmen.
Für solche Aktionen wird oft auf die Geschichte als Legitimation zurückgegriffen. Im Projekt „SocialMediaHistory“ haben wir daher schon oft über die Rollen von Fakten-Checks gesprochen. Am 26. Oktober 2022 hatte das Projektteam für diese Diskussion Cristina Helberg für einen projektinternen Online-Workshop eingeladen. Die freie Journalistin arbeitet mit verschiedenen Medienhäusern zusammen und ist hauptberuflich Fakten-Checkerin.
Zu Beginn hat sie und mit einigen Grundlagen von Fake News und Faktenchecks vertraut gemacht. Beispielsweise gibt es bestimmte Regelmäßigkeiten, denen Fake News folgen und anhand derer man sie oft sofort erkennen kann. So enthalten Falschmeldungen häufig einen wahren Kern, zu dem viel hinzugesponnen wird, was eine Recherche schwer macht. Oft werden außerdem gezielt Narrative von Schuld, Macht und Verschwörung aufgebaut. Es gibt demnach keine Zufälle. So wird gern Minderheiten der jeweiligen Region die Schuld für Geschehnisse gegeben. Das gilt nicht nur für heutige Falschinformationen, sondern war auch schon in der Vergangenheit oft so und trifft auch auf Fake News zu, die sich auf die Vergangenheit beziehen.
Überhaupt hängen Fake News und Geschichtsdarstellungen oft zusammen, wie die Diskussionen während Cristinas Workshop gezeigt haben. Viele Gruppen nutzen die Geschichte, um ihre Wahrnehmung der Gegenwart zu rechtfertigen. Aber gleichzeitig können viele Menschen nicht über das Detailwissen verfügen, um diese Falschinformationen zu erkennen – das gilt manchmal sogar für Lehrer*innen – und auch Faktenchecker*innen können sich bei all den tagesaktuellen Falschmeldungen kaum mit historischen Fake News beschäftigen. Deshalb verbreiten sich diese manchmal sehr schnell und sehr weit.
Im Workshop hat uns Cristina einige Beispiele gezeigt, bei denen Fakten-Checks und Recherche wirklich einen Unterschied gemacht haben. Besonders einprägsam war für mich das Beispiel zum „Sturm“ auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021. Hier haben sich zahlreiche Freiwillige zusammengetan, um die online verfügbaren Bilder der Proteste zu analysieren und Straftaten aufzudecken. Sie nahmen Bilder von Twitter, Instagram oder TikTok, prüften sie auf Echtheit und leiteten sie Ermittlungsbehörden weiter. Bei dieser Form spricht man von Crowdsourcing.
Cristina Helberg greift in ihrem Arbeitsalltag auf ähnliche Verfahren zurück. Sie überprüft zum Beispiel die Echtheit eines Fotos (oder eines Videos mit Hilfe von Screenshots), indem sie die darauf abgebildeten Informationen abgleicht. Ist der Sonnenstand auf dem Bild korrekt? Existiert das abgebildete Straßenschild? Findet man die entsprechenden Gebäude auf Google Maps? Wurde das gleiche Foto schon einmal woanders benutzt und aus dem Zusammenhang gerissen?
Inzwischen haben die meisten großen Funkhäuser und Nachrichtenportale ganze Abteilungen für Fakten-Checks. Bei den vielen Angeboten ist es für uns Laien besonders hilfreich, sich am Siegel des IFCN (International Fact-Checking Network) zu orientieren. Daran sehen wir, ob gewisse Standards bei den Fakten-Checks eingehalten werden.
Für viele dieser Überprüfungen gibt es kostenlose Tools, auf die wir alle zurückgreifen können, wie etwa Google Lens. Auf der Website oder im Google-Browser Chrome mit einem Rechtsklick auf ein Bild kannst du überprüfen, wo es im Internet sonst noch verwendet wird – und so herausfinden, ob es sich um ein Fake handeln könnte oder aus dem Kontext gerissen wurde.
Cristina Helberg hat im Workshop nicht nur ihr Handwerk präsentiert, sondern es auch kritisch hinterfragt. Es ist leider immer noch so, dass die Falschnachricht stets mehr Verbreitung findet als die Korrektur eines Fakten-Checks. Wer bewusst Falschmeldungen verbreitet, wird das Ergebnis eines Fakten-Checks wahrscheinlich auch nicht akzeptieren. Fest steht auch, dass Menschen, die in einem völlig anderen Nachrichten-Kosmos leben, in dem täglich über „Systemmedien“, „gekaufte Wissenschaft“ und „Lügenpresse“ gesprochen wird, Fakten-Checks eher nicht trauen.
Was Cristina Helberg aber deutlich gemacht hat: Es ist wichtig, einer Falschmeldung zu widersprechen. Wer Informationen zu einer bestimmten Aussage oder einem Bild recherchiert und auf einen Fakten-Check stößt, beginnt vielleicht dann zu hinterfragen: „Bin ich einer Falschmeldung aufgesessen?“ Die Zweifelnden können damit erreicht werden.
Wenn ihr selbst Menschen in eurem Umfeld habt, die Fake News glauben, hat Cristina uns einige Tipps mitgegeben: Oft verstehen die Menschen die genutzten Codebegriffe gar nicht, die sie teilen, gerade bei historischen Verschwörungsmythen. Diese zu entschlüsseln und in verständliche Sprache zu übersetzen, kann der Person schon helfen, den Hintergrund dessen, was sie teilt oder glaubt, besser zu verstehen. Zudem ist es wichtig – auch online – Argumentationstaktiken zu erkennen, das Gespräch immer wieder auf das Grundthema zurückzuführen, denn Ablenkung ist eine gern genutzte Strategie, und Rückfragen zu stellen. Und falls ihr eigene Social-Media-Kanäle zu Themen habt, bei denen es auch um (historische) Fake News geht, empfiehlt Cristina, schon einmal Textbausteine zu den wahrscheinlichsten Reaktionen vorzubereiten.
Für unser Projekt war das ein wichtiger Workshop. Wenn wir uns mit der Vermittlung von Geschichte in sozialen Medien auseinandersetzen wollen, dürfen wir uns nicht auf die wissenschaftliche Blase beschränken, in der Diskussionen auf Sachebene diskutiert werden. Wir müssen auch dorthin, wo es schmutzig zugeht und uns Falschmeldungen stellen – besonders jenen mit einem historischen Bezug.
Cristina hat uns das nötige Handwerkszeug dafür gezeigt. Los geht’s!
Max Wetterauer ist Mitglied unseres DabeiRats. Er ist Anfang 30 und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Er hat Geschichte studiert, ist aber heute vor allem in der Wissenschaftskommunikation tätig.